"Ich habe mich hier trotz Corona zu keiner Zeit unwohl gefühlt"
Ein junger Sonneberger schiebt nach seinem Abitur ein halbes Jahr Freiwilligendienst in einem
italienischen Altenheim. Ausgerechnet in der Zeit als das Corona-Virus im Land von Pizza und Pasta am stärksten grassiert.

Sonneberg/Luserna San Giovanni - Als Arthur Schneider sich nach dem Abitur am Sonneberger Hermann-Pistor-Gymnasium im letzten Jahr entschloss, im Rahmen des Europäisches Freiwilligendienstes einen halbjährlichen Auslandsaufenthalt in Italien anzutreten, hatte noch niemand etwas von der herannahenden Pandemie-Welle geahnt. Er bekam in den vergangenen Monaten die Auswirkungen in einem der in Europa am schwersten betroffenen Ländern hautnah zu spüren. Jetzt gibt er Einblicke in seine Arbeit und erzählt von seinen Erlebnissen aus einem hauptsächlich von Alzheimer-Patienten bewohnten Pflegeheim in Luserna San Giovanni in der Provinz Turin.

Lebhaftigkeit von Pandemie geschluckt

"Vor Corona war das Pflegeheim ein lebhaftes Haus: Es gab regelmäßig Gottesdienste, Musiker kamen her und gaben Konzerte und wir Animatoren sind mit den Patienten auch mal raus in die Stadt und haben auf dem Marktplatz einen Kaffee mit ihnen getrunken. Zusätzlich zu diesen Aktivitäten habe ich die Patienten Frühs und Mittags gefüttert", so der 20-jährige Sonneberger. Neben Arthur arbeiteten Anfang des Jahres noch sechs weitere junge Menschen aus dem Programm des Europäischen Freiwilligendienstes im Pflegeheim nahe Turin. Arthur ist Mitarbeiter im Bereich "ufficio animazione" als eine Art Animator. Seine Hauptaufgabe ist es, mit den Alzheimer-Patienten Zeit zu verbringen und ihre Lebensqualität dadurch zu verbessern, ihnen ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern.
Der erwartete Shutdown überkam das Pflegeheim dann doch mit einem Schlag ganz plötzlich, erzählt Arthur - In der ersten Märzwoche wurde die Region Piemonte zur "roten Zone" erklärt und von einem auf den anderen Tag änderte sich nahezu alles. Das Pflegeheim wurde unter Isolation gestellt, die Alzheimerpatienten durften keinen Besuch mehr empfangen und das Gelände des Pflegeheims nicht mehr verlassen. "Die ersten Tage inmitten dieser neuen Situation waren beängstigend. Wir Freiwilligen haben uns dann um die Einrichtung von Skype für die Bewohner gekümmert, so dass sie mit ihren Angehörigen, an deren regelmäßige Besuche sie sonst gewöhnt waren, wenigstens auf diese Weise in Kontakt bleiben konnten". Allenfalls ein kleines Trostpflaster. Die Lebhaftigkeit und die Energie, welche Arthur während der Arbeit mit den Senioren noch zu Beginn seines Auslandsaufenthalts erfuhr, war durch die "rote Zone" einfach geschluckt worden. Der 20-jährige erzählt von seinen Erlebnissen, als ob sie aus zwei verschiedenen Welten stammen würden - Die Welt ohne Corona und die Welt mit Corona. Seit Oktober ist er nun in Italien und leistet seinen Freiwilligendienst, nur über Weihnachten kehrte er zwischenzeitlich zurück zu seiner Familie nach Sonneberg.

Tests für alle, außer für die Freiwilligendienstler

Das Pflegeheim wurde Anfang März abgeriegelt, ein Teil des Pflegepersonals erhielt erst am 16. März erste Schutzmasken. "Als das Infektionsgeschehen dann richtig Fahrt aufnahm und sich die Zahl der Infizierten in den umliegenden Orten weiter erhöhte, brachen fünf von uns sieben Freiwilligendienstler ihr Engagement ab und gingen nach Hause. Jetzt bin nur noch ich und meine portugiesische Freundin Ana übriggeblieben", schildert Arthur die dynamische Entwicklung im März. Da die beiden nicht zur festen Belegschaft gehören, mussten sie nach dem ersten nachgewiesenen Corona-Fall am 22. März vorübergehend aufhören zu arbeiten. In Arthurs Stimme ist ganz deutlich die Beklommenheit zu hören, als er die Chronologie der Ereignisse an seinem Arbeitsplatz fortführt. Nach und nach traf Schutzkleidung und genügend Desinfektionsmittel ein, so dass die Corona-Patienten auf der abgeriegelten Isolierstation ordentlich betreut werden konnten. Unter den strengen Hygienevorschriften durfte Arthur am 8. April wieder anfangen zu arbeiten - Schutzhandschuhe mussten nun nach jedem Patientenkontakt gewechselt werden.
Flächendeckende Tests für die Belegschaft, die nachweislich Kontakt mit den Infizierten hatten? Fehlanzeige. "Ich rechnete täglich damit, dass wir endlich getestet werden. Aber erst vor einer Woche wurde eine flächendeckende Testung für Heimbewohner und Personal gestartet, da erst jetzt Kapazitäten dafür frei sind. Allerdings wurden wir zwei Freiwilligen nicht getestet, obwohl wir mit den meisten Kontakt zu den Patienten haben. Ich konnte das nicht nachvollziehen und dachte, dass es ein schlechter Witz wäre", so Arthur Schneider. Die Ergebnisse der getesteten Patienten und Pfleger liegen bereits vor - Erwartungsgemäß fielen viele Tests positiv aus. Eine genaue Anzahl kann er zwar nicht nennen aber es seien "einfach viel zu viele", um sie alle in die Isolierstation zu verfrachten. Die Neuinfizierten werden fortan in ihren Zimmern auf einem Flur isoliert, für Arthur und Ana ist dieser Bereich absolute Tabuzone. Die beiden Freiwilligen wissen nicht, was sich dort abspielt, wie gut die Covid-Kranken versorgt werden oder wie viele von ihnen schon verstorben sind. Eine Art Geheimhaltungskodex sorgt dafür, dass Mitarbeiter wie Arthur darüber möglichst wenig erfahren.

Mulmiges Gefühl, aber keine Angst

Auf die Frage, warum er nicht wie die anderen Europäischen Freiwilligendienstler nach Hause geflogen ist, als es vom Infektionsgeschehen her brenzlig wurde, antwortet er ganz bestimmt: "Ich habe mich hier zu keiner Zeit unwohl gefühlt. Das ist eine noch die dagewesene Ausnahmesituation für alle Menschen und ich habe meine Entscheidung nicht bereut, noch länger zu bleiben und nicht am 26. März heimzufliegen. Hier kann ich anpacken und etwas Sinnvolles für die Gesellschaft in dieser Krisenzeit tun, dieser Gedanke motiviert mich ungemein". Angst empfinde er dennoch oder vielleicht gerade deshalb nicht. Freilich erzeuge die Ungewissheit ein mulmiges Gefühl, da er aufgrund seiner fehlenden Testmöglichkeit nicht weiß, ob er selbst infiziert war oder infiziert ist. Aber dieses Gefühl sei erträglich. Und wie hält man den Kontakt zu Eltern und Familie ins heimische Sonneberg? Regelmäßige Telefonate in Kombination mit dem Austausch über WhatsApp helfen hierbei, beidseitig die Sorgen zu reduzieren. Seine Eltern standen trotz der sich zuspitzenden Lage und den Hiobsbotschaften aus Italien hinter seiner Entscheidung, den Aufenthalt außerplanmäßig über den 26. März hinaus zu verlängern: Solange er sich wohlfühle und davon überzeugt sei, tut er das Richtige. Im Juni wird Arthur voraussichtlich die Heimreise antreten um sich anschließend um einen Studienplatz für das nächste Semester kümmern. Leicht wird ihm der Abschied von Luserna San Giovanni bestimmt nicht fallen - Die Corona-Krise am eigenen Leib zu erfahren hat ihn nicht nur mit neuen Leuten zusammengeschweißt, sondern auch nachhaltig geprägt.


Moritz Bauer (Erschienen im Freien Wort, Lokalteil Sonneberg, 23.05.2020)